Meinhard Ansohn
Verrückt - verkehrt -
verdreht

MiG 1-201
Musikalisches
Lernen neben der Spur
Lernen in der Schule braucht Gegenstände, Wege
und Methoden, um die Ziele zu erreichen. Je
klarer sich das in der Grundschule zusammenfügt,
umso besser der Lernerfolg. Tatsächlich? - Hat
im Musikunterricht der Grundschule auch
Absurdes, Paradoxes, Chaotisches eine Chance
und, falls ja, warum und wie?
Vom Sinn des
Unsinns
Kinder formulieren ständig
um, missverstehen auch, verdrehen absichtlich
und können dabei sehr deftig sein: "Frère
Jaques - halt die Klappe! Dormez-vous? - Alte
Kuh! Sonnez les matines - alte Waschmaschine.
Ding, dang, dong, Lutschbonbon; Happy Birthday
to you - Marmelade im Schuh, Aprikose in der
Hose und 'nen Arschtritt dazu." Zwei noch
relativ harmlose Spielereien, die es in vielen
regionalen Varianten gibt - immer mit der
Lust, Liedertexte zu zerfleddern.
Vom kleinen Spiel aus der Kinderwelt ist es
manchmal nur ein kleiner Schritt zu den großen
Spielen des Dadaismus und Surrealismus, zu den
sprachlichen Hüpfern von beispielsweise
Pleonasmus ("eine tote Leiche") und Paradox
("eine lebendige Leiche"), leerem Vergleich
("eine so schöne Leiche wie ein Bollerwagen"),
unbekannter Metapher ("wie eine berauschende
Leiche"), fiktivem Nomen ("ein Leicher") und
der ganzen Nonsenslyrik von Christian
Morgenstern, Lewis Carroll, Ernst Jandl u. v.
a.
Spaß am Mehrdeutigen und Nichtdeutigen geht
besonders gut in Kunst und Literatur, weil
Bilder ursprünglich etwas Reales, Sichtbares
abzubilden und Wörter etwas Reales,
Wahrnehmbares usw. zu benennen hatten. Musik
ist anders. Musik ist in sich schon mehrdeutig
oder nichtdeutig. Deswegen hat sie scheinbar
keinen einfachen Widerpart im Umzuformenden,
es sei denn, eine Melodie oder ein Rhythmus
ist selbst ein Gegenstand, den man im
parodierten Zustand noch erkennt. Das ist
wichtig zu bedenken, wenn man mit Musik in die
Welt des Verrückten, Verkehrten, Verdrehten
eintauchen will und nicht nur Musik benutzt,
um letztlich sprachliche Spielerei zu
betreiben.
Eine kleine
Kratzmusik
Benötigt werden drei
Lieder, die wir alle kennen, z. B. Alle meine
Entchen, Bruder Jakob,
Fuchs, du
hast die Gans gestohlen. Leider ist
den Liedern über Nacht der Text verloren
gegangen und die Melodie ruht sich gerade
aus. Wir sind Mäuse und haben von den
Menschen gehört, wie sie singen. Und in
unserem Mauseloch kratzen wir den Rhythmus
nach, weil uns tagsüber langweilig ist. Drei
Tischgruppen sind drei Mausefamilien und
jede übt einen Liederryhthmus auf dem Tisch
mit den Fingernägeln zu kratzen. Wenn wir
unser Lied kratzen können, treffen wir uns
alle zum Kratzkonzert und kratzen unsere
Liederrhythmen auf den Stuhllehnen im Kreis.
Abwechselnd, gleichzeitig oder
durcheinander. Das funktioniert auch als
Ratespiel. Dann geht eine Maus herum, wenn
alle
anfangen ihr Lied zu kratzen und sie muss
heraushören, wo das Entchen-, das Fuchs-,
das
Jakoblied gekratzt wird. Ist schwer, aber
macht Spaß.
Bedingungen
für das Lernen mit Sinn und Unsinn
•
Einfache Dinge: Wenn wir verrücken,
verkehren, verdrehen, brauchen wir dafür
eine solide Basis. Es ist wichtig, dass
Kinder etwas richtig können, wenn sie auf
der Basis dieses Könnens Nonsens erzeugen,
Fehler absichtlich gestalten, Verdrehtes
bauen. Die einfachsten Rhythmen und Lieder
sind für kreative Ansätze die besten, um
Neues darin zu entdecken und um eventuell
im Verfremdeten ganz neue Hör- und
Spielerfahrungen zu machen.
Nur wenige Kinder kennen z. B. Ironie und
halten sie aus. Dinge mit einem verdrehten
Sinn zu akzeptieren oder selber zu
generieren, muss erst gelernt werden. Die
reine Übernahme von Quatschversen aus der
Straßenkultur heißt ja noch nicht, ein
eigenes Methodenrepertoire bewusst
einsetzen zu können. Dies zu lernen ist
ein großes Ziel.
•
Fröhliche Atmosphäre: Für Unterrichtende
ist es wichtig, ernsthafte und
spielerische Aussagen möglichst genau zu
trennen. Ein Unterricht, in dem gemeinsam
gelacht wird, hat
Chancen, Kinder in die Entwicklung eines
fachbezogenen Humors mitzunehmen.
Melodieveränderungen
Eine
Melodie, die wir spielen können, ist
ein wahrer Schatz für das Verrücken,
Verkehren und Verdrehen. Wenn wir ganz
sicher sind, können wir das Unsichere
wagen und Motive verrücken, eine
Melodie umkehren oder Teile des Liedes
verdrehen. Sich im Labyrinth der
Möglichkeiten einzurichten ist schön,
wenn man den Faden kennt, der einen
jederzeit auf sicheres Gelände
zurückführt.

|
Die
Kinder haben Stabspielinstrumente
oder Keyboards, auf denen die
Tonnamen stehen, am besten zu
zweit ein Instrument. Sie lernen
oder können schon Alle
meine Entchen spielen.
Wie können wir jetzt die Melodie
verrücken, verkehren oder
verdrehen? Als Unterrichtende/r
sollte man einige Varianten
vormachen können und dann die
Kinder machen lassen. In
musikbetonten Schulen geht die
Arbeit auch gut mit Arbeitsbögen,
so dass die Kinder ihre gefundenen
Varianten aufschreiben oder vom
Schriftbild aus etwas probieren.
Normal ist: auswendig lernen und
dann Ideen entwickeln.
|
Beispiele:
•
Verlängerung von Teilen: Immer die Töne
vom letzten Wort werden zweimal gespielt
("Entchen, Entchen"; "See, See").
•
Wiederholung von Tönen oder Takten:
Mittendrin spielen wir einen Takt
zweimal oder wir spielen alle Takte
zweimal. Oder es sind so viele Entchen,
dass wir "Alle" zehnmal spielen, bevor
es weitergeht.
•
Verkürzung von Teilen durch Weglassen
/Pausen: Wir spielen "Entchen" nicht,
aber lassen die Zeit als Pause. Oder wir
spielen "Entchen" nicht und spielen
gleich weiter. Oder die Entchen haben
Angst, den Kopf ins Wasser zu stecken
und vor dem Wort "Wasser" gibt es eine
lange Pause.
•
Veränderung von Tondauern: Alle Töne
werden abwechselnd kurz-lang
(Achtel/Viertel)
gespielt. Oder wir finden Ausruhetöne
mitten im normal gespielten Lied. "See"
z. B. kann ein sehr großer See sein und
sehr viel länger als normal dauern.
•
Veränderung der Tonhöhen: Wir spielen in
der obersten Oktave (für die "Küken!").
Oder
wir spielen "See" als Glissando nach
unten (Der See ist sehr tief.). Oder wir
spielen "Schwimmen" als Glissando nach
unten (Die Entchen können noch nicht
schwimmen.) Oder wir spielen ab
"schwimmen" nur Tonleitertöne oder
Glissandi aufwärts (Neuer Text: "fliegen
einfach weg").
•
Veränderung des Taktes: Walzer oder
5/4-Takt, indem Töne verlängert oder/und
punktierte Rhythmen eingesetzt werden.
•
Umkehrungen: Wir spielen von C aus genau
anders herum, quasi das, was man
musikalisch die Umkehrung nennt. Oder
wir spielen das Lied "richtig" von c aus
und gleichzeitig ein anderes Kind von f
aus die Umkehrung. Dann treffen sich
beide beim Schwimmen auf a. Oder wir
probieren andere Umkehrungen und ihre
Parallelen.
•
Der Krebs ist ein beliebtes Stilmittel
in der motivischen Arbeit. Dabei wird
das Lied oder
ein Teil davon rückwärts gespielt, nicht
ganz einfach, aber lustig.
•
"Pekingentchen": Wir spielen das Lied
auf den schwarzen Tasten bzw. der Reihe
der fünf
abgeleiteten Töne ab cis. Die
Assoziation "chinesisch" ist
unmittelbar, auch wenn das ein
musikalisches Klischee der Europäer ist.
Wirkungsvoll ist es auf jeden Fall,
besonders mit
zwei parallelen Linien.
An manchen Stellen wird so der
musikalische Spaß oder Unsinn zum
inhaltlichen Sinn. An anderen Stellen
wird der inhaltliche "Sinn" musikalisch
völlig verrückt. Und an wieder anderen
Stellen geht es nur noch um formales
Spiel weit ab von Sinn oder Unsinn. Das
Lied wird zum Material für Experimente.
Und nach vielen Umwegen kann man das
Lied selbst sicherer spielen und wird
sich nach und nach seiner Eigenheiten
bewusst.
Als kleine Anregung zwischendurch kann
man auch von der Internetseite
www.ploggy.de Beispiele für
Übersetzungen von Alle meine
Entchen in Klischees
vorspielen: "türkisch", "chinesisch",
"Kloster", "Bob Dylan" u. a., sehr
lustig. Auf unserer CD gibt es als
Bonbon einen Ausschnitt von den Wise
Guys: Tekkno.
Könnte zur Nachahmung anregen und die
Beatboxansätze in den Ententeich bzw.
die Grundschulklasse tragen. Das zu üben
ist noch mal ein anderes Kapitel.
Taktartenpuzzle
In das unverwüstliche
Gedicht Dunkel war’s, der Mond
schien helle aus der
mündlichen Überlieferung kann man
viele Rhythmen und Melodien hinein
verrücken. Die Vielfalt der
Möglichkeiten kann faszinieren, kann
einen aber auch verrückt machen.
Versucht
die Zweizeiler in
gleichmäßigem Rhythmus
deutlich zu sprechen, erst
in Viertelnoten, dann
doppelt so schnell
(Achtelnoten).
Probiert
das Ganze nun im Dreiertakt:
lang - kurz-lang - kurz-lang
- kurz ...; mal tänzerisch,
mal dramatisch, mal
teuflisch grinsend ...
Nehmt
andere Rhythmen, z. B. kurz
- kurz - lang - lang - kurz
- kurz - lang - lang (wie
in: O wie ist es kalt
geworden).
Singt
den Text auf andere
Melodien: Fuchs, du hast
die Gans gestohlen
oder Eisgekühlte
Limonade oder
Weißt du wie viel
Sternlein stehen?
oder ...
Bei
einer kleinen Vorführung
stellt ihr die besten eurer
fünf Versionen vor.
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Der Jiffy Mixer und der WM-Song
Wenn wir im
Unterricht tanzen, lernen wir oft
Bewegungen zu Musik. Manchmal
bewegen wir uns so frei, wie uns die
Musik bewegt. Kinder erfinden eigene
Tänze, wenn sie ein
Bewegungsrepertoire aus Tänzen und
freier Bewegung erworben haben. Spaß
machen und neue Erkenntnisse bringen
kann auch die Übersetzung eines
Tanzes in eine andere Musik: Wir
"verdrehen" die musikalischen
Energien und probieren aus, was das
mit unseren Bewegungen macht.
Beispielsweise kennen viele Kinder
den Jiffy Mixer ("Hacke-Spitze"). Er
wird auf der Kreisbahn zu zweit
gegenüberstehend getanzt, geht über
acht Viervierteltakte und folgt den
Wörtern:
(Der linke Fuß
beginnt.)
Hacke - Spitze - Hacke -
Spitze /
seit - ran - seit - kick.
(Der rechte Fuß beginnt.)
Hacke - Spitze - Hacke -
Spitze /
seit - ran - seit - kick.
(Jeder rutscht mit beiden
Füßen rückwärts.)
Rutsch - klatsch - rutsch -
klatsch -
rutsch - klatsch - rutsch -
klatsch.
(Jeder geht zu seinem
rechten Nachbarn.)
Eins und zwei und drei und
vier. |

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Nun spielen wir den WM-Song von
Pitbull We Are One und
probieren dazu den Jiffy
Mixer aus. Alle Zählzeiten passen
(mit einer Ausnahme relativ spät, wo
ein eintaktiger Sambabreak "stört")
genau über unsere Bewegungen. Aber
seltsam: Das Gefühl ist anders. Zwei
Durchgänge lang wird das triolische,
boogiemäßige des Jiffy Mixer nun
durch Sambarhythmen ersetzt und zwei
Durchgänge lang ist ein gerader
HipHop- bzw. Pop-Beat bestimmend.
Wie können wir unsere
Körperhaltungen verändern, damit
sich der Tanz "richtig" anfühlt?
Welche Armbewegungen unterstützen
wann gut das "Olé, olé"? Wie gehen
Kopf und Körper oder auch Arme mit
beim HipHop?
Wir entdecken so Aufbau und
Taktstruktur eines relativ neuen
Liedes mit einem alten Tanz und
geben dem Tanz einen neuen Ausdruck.
Jeder andere Tanz über acht oder
sechzehn Takte kann übrigens dafür
auch verwendet werden,
vorausgesetzt, wir können ihn
tanzen. Man kann dasselbe aber auch
mit anderen Stücken tun: Mozarts Rondo
alla turca aus der Sonate
A-Dur KV 331 fühlt sich mit dem
Jiffy Mixer plötzlich wie ein
höfischer Tanz an und führt zu
wieder anderen Körperhaltungen.
Verrückt!
Verrückte
Konzertmusik
Manche Menschen
nennen Konzertmusik aus früheren
Zeiten E-Musik, ernste Musik. Das
wollten die Komponisten selber
nicht immer, dass man ihre Musik
ernst fand. Der Komponist Felix
Mendelssohn Bartholdy (1809-1847)
hat viel ernste Musik komponiert.
Aber er hatte manchmal
offensichtlich auch Spaß machen
wollen. Und so nannte er sein Trio
für Klarinette, Bassetthorn und
Klavier von 1832 nicht nur
Konzertstück Nr. 1 f-moll, opus
113, sondern auch "Ein großes
Duett für Dampfnudel und
Rahmstrudel". Er schrieb es, als
ein Freund, Heinrich Baermann, mit
seinem Sohn Carl zu Besuch kam und
für beide gekocht werden sollte.
Nach dem Essen übten sie es
gleich, spielten es zu dritt und
schrieben dann noch eine
Orchesterfassung dazu.
Dampfnudeln sind Hefeklößchen, die
in Milch und Wasser gegart werden
und Rahmstrudel ist ein Gebäck aus
umeinander gerolltem Teig,
manchmal mit Äpfeln oder Kirschen,
manchmal auch mit Wurst gefüllt.
"Hört das Stück und stellt euch
vor, wie eine Dampfnudel nach der
anderen aufquillt, wie
der Strudelteig sich verkräuselt
und der Dampf nach oben steigt.
Macht die Bewegungen der Musik mit
den Händen nach. Ab und zu hüpft
der Klang, als ob jemand z. B.
Teigteilchen in eine Schüssel
wirft oder Zutaten in die Schüssel
streußelt. Überlegt euch, wie ihr
ein kleines Bild als CD-Cover zu
der Musik malen könntet. Es darf
ruhig durcheinander aussehen,
dampfen, strudeln, sich drehen,
streußeln. Verrückte Musik
verträgt ein verrücktes Bild."
Die
Wunschfee
Die Wunschfee
hat ein paar verrückte,
verdrehte und wünschenswerte
Themen. Ein Lied, in das sich
alles packen lässt, was zur Zeit
nicht so ist, wie es schöner
wäre. Im Unterricht lässt sich
das Lied einfach Strophe für
Strophe lernen. Die vier
Vierzeiler mit den zwei
"Refrainzeilen" sind Vorschläge
und jederzeit veränder- oder
erweiterbar.
Die Macht des Liedes zeigte sich
übrigens tatsächlich schon
einmal: Drei Monate nachdem das
Lied in Berlin-Tempelhof zum
ersten Mal gesungen wurde,
wurden die grauen Häuser neben
der Paul-Klee-Schule rot, gelb
und blau angestrichen. Offenbar
kommt es darauf an, realistische
Wünsche zu formulieren.
Nachschlag:
"Probiert doch mal aus Fuchs
du hast die Gans gestohlen
auf Kuckuck, Kuckuck
ruft’s aus dem Wald zu
singen. Auf einer langen
Klassen- oder Urlaubsfahrt kann
man alle Lieder, die man kennt
mit Fuchs du hast die
Gans gestohlen singen.
Wenn es Spaß macht, wird
das lange nicht langweilig."
3
|
Die
Wunschfee
M
& T: Meinhard
Ansohn
|

2
Dass der Schulbäcker
alles umsonst verteilt,
dass sich niemand zu
sehr in den Pausen beeilt,
dass man immer, wenn
man will, zum Zeitungsladen
rennt
und dass jeder, wann er
will, die erste Stunde
verpennt.
Ja, was wünscht man
sich in so 'nem Fall ...
3
Dass
die Häuser bunt erneuert
werden,
dass Diktathefte lustig
verfeuert werden,
dass die Lehrer endlich
Zensuren kriegen,
dass im Hof für alle
immer Basketbälle liegen.
Ja, was wünscht man
sich in so 'nem Fall ...
4
Dass
die Affen im Wald endlich
Ruhe haben,
dass die Ponys sich
nicht mehr müde traben,
dass das Hänschen klein
nie erwachsen wird,
dass sich Gretel nie
ohne Hänsel verirrt.
Ja, was wünscht man
sich in so 'nem Fall...
5
Dass der Scatman eine
Oper singt,
dass ein Mozartstück
wie Tekkno klingt,
dass die Party in
unserer Schule steigt,
dass ein HipHopper
"Alle meine Entchen" geigt.
Ja, was wünscht man
sich in so 'nem Fall ...
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