Michael Huhn
Für jedes Kind ein Instrument


Eine Cajon speziell für den Rollstuhl, von der Schüler-AG einer Hamburger Schule gefertigt.

MiG 1-2013

Die Suche nach der passenden Lösung
MiG 1-2 MiG 1

Die individualisierte Lernzielorientierung beim Klassenmusizieren, das alle Schülerinnen
und Schüler einbezieht, erfordert immer wieder das Forschen nach passgenauen Lösungen in
der Instrumentenwahl: Gar nicht so einfach, mag man zunächst einmal denken. Im Umgang
mit verschiedenartig eingeschränkten oder behinderten Kindern sind wir ständig auf der Suche nach speziellen Lösungen. Neben dem reichen Arsenal an Perkussioninstrumenten und Geräuscherzeugern können auch weniger verbreitete tonale Musikinstrumente aus dem therapeutischen und sonderpädagogischen Bereich für den schulmusikalischen Gebrauch gute Dienste leisten. Ziel ist dabei, jedem Kind ein adäquates Instrument zur Verfügung zu stellen, sodass es in einer auch "Flow-Zone" genannten Ebene des Lernens, also weder unter- noch überfordert, mit seinen Mitteln partizipieren und lernen kann. Hier einige Beispiele.


Einzel- und Mehrtoninstrumente



Klingende Stäbe mit Metallplatten oder Handchimes sowie die in den USA weit verbreiteten Handglocken können wie ein reduziertes Stabspiel benutzt werden. Für Schüler, die motorisch oder kognitiv nicht oder noch nicht in der Lage sind, metrisch genau zu spielen, können wir durch passende Tonauswahl mit solchen
Einzeltoninstrumenten eine ad libitum-Begleitung zusammenstellen. In einer einfachen Begleitkadenz erklingen dadurch zu Vierklängen erweiterte Stufenakkorde, ohne dass diese ihre Tonika-, Dominant- oder Subdominantfunktion verlieren. Beispiel: Spielt die Klasse eine dreistimmige Instrumentalbegleitung zu Alle Vögel sind schon da in D-Dur, können zusätzlich die Töne a und h in beliebigem Tempo abwechselnd angeschlagen werden. In hoher Lage und forschem Tempo vermittelt dies ganz im Sinne des Textes den Eindruck von Zwitschern und Tirilieren.
Auf einem Streichpsalter, wegen seiner länglichen dreieckigen Form von Schülern
gerne als "Pizza-Geige" tituliert, kann man mit dem Kurzbogen gestrichene Töne erzeugen, ohne auf einem Griffbrett intonieren zu müssen. Es verfügt über die volle chromatische Skala im Umfang von eineinhalb Oktaven. Nach Einweisung in eine basale Bogentechnik

("Schweben statt Quietschen") kommen die jungen Spielerinnen und Spieler recht schnell mit der Handhabung zurecht. Das Instrument kann mit der einen Hand vor dem Bauch gehalten, mit der anderen Hand gestrichen oder auch auf dem Tisch liegend bedient werden. Bei höherem Anforderungsniveau spielen Schülerinnen und Schüler auf dem Streichpsalter
ganze Melodien. Die Spielweise lässt sich wie mit Klingenden Stäben auch im Sinne der ad libitum-Begleitung vereinfachen.
Unter den Blasinstrumenten eignen sich Intervallflöten für einfache Begleitungen. Die Zweitonflöten mit Quart- oder Quintabstand erfordern nur das Anblasen, Schließen und Öffnen eines einzigen Flötenloches. Sie sind auch gut einsetzbar zum Spielen von Signalmotiven: In einem Feuerwehrlied liefert die Quartflöte ein deutliches "Tatütata".

Für pentatonische Improvisationen eignet sich neben Stabspielen die Kantele (ursprünglich aus Finnland), bei der zehn Saiten über einen mit Schallloch versehenen Holzkorpus gespannt sind, die mit einem Finger oder Plektrum angeschlagen werden. Auch dieses Instrument spielt man vor dem Bauch bzw. auf dem Schoß oder Tisch liegend.



Akkordinstrumente

Wie schön, wenn man mal die Akkordbegleitung zum Guten Morgen-Lied an die Schülerinnen oder Schüler delegieren kann, auch wenn es in der Klasse noch keine Gitarristen oder Pianisten gibt.
Die Bordunleier, auch bekannt als "Gitarre ohne Hals", ist ein Instrument, dessen Einzelsaiten im Rahmen einer Quart auf die Töne der jeweils benötigten Harmonie umgestimmt werden können. Die Saiten werden mit dem Finger oder Plektrum angeschlagen, nach Vereinbarung und Fantasie nur auf der Eins oder in durchgehendem Rhythmus. Steht ein Lied in C-Dur, können drei Kinder je ein Instrument in
den Begleitakkorden C-Dur, F-Dur und G-Septakkord bedienen. Die Lehrkraft und im Weiteren die Schülerinnen und Schüler haben die Aufgabe, anzuzeigen, wann welche Musikerin, welcher Musiker an der Reihe ist. Dieses Rollenspiel, bei dem geübt und reflektiert wird, welcher Akkord wohl zu welchem Melodieton passt, schult Ohr und Harmonieverständnis. Auch die Leersaiten einer Gitarre lassen sich in gewissen Grenzen auf einen Akkord umstimmen - aufwärts möglichst nicht mehr als eine Sekunde, die Saitenspannung wäre sonst zu hoch. Mit Hilfe eines Kapodasters, der die Mensur verkürzt, können auch höhere Tonarten eingestellt werden.

Die Autoharp, Ende des 19. Jahrhunderts wohl nach sächsischem Vorbild in den USA entwickelt, verbreitete sich bald als relativ leicht zu erlernendes Begleitinstrument in der amerikanischen Folk-Music. Durch Abdrücken beschrifteter Knöpfe, welche jeweils die nicht benötigten Saiten mit Filzen abdämpfen, kann man auf der Autoharp per Plektrum-Anschlag ohne weiteres die gängigen Dur-, Moll- und Septakkorde spielen.



Schlaginstrumente

Cajones sind bei Schülern sehr beliebte Rhythmusinstrumente und gut als Mini-Drumset geeignet. Für Menschen im Rollstuhl sind sie aber so nicht spielbar. Würden sie alternativ die Cajon auf den Schoß legen, wäre das Schlagfell etwa auf Kinnhöhe, also unpraktisch zu bedienen. Eine Lösung schafft hier eine Spezialanfertigung mit abgewinkeltem, höhenverstellbarem Korpus, die eine bequeme Spielhaltung ermöglicht und zudem durch das große Resonanzvolumen einen vollen Bass aufweist (Titelbild).


Elektronische Instrumente

Eine weitere, umfangreiche Kategorie an Instrumenten, die hier nur gestreift werden kann,
verdanken wir der Entwicklung der Digitaltechnik: Geräte aus der Unterstützten Kommunikation (UK) nichtsprechender Kinder sowie virtuelle Instrumente und App auf Tablets.
Ein Beispiel. Ursprünglich für die Atemtherapie entwickelt, erfreut sich ein digitaler Blaswandler namens "Magic Flute" größter Beliebtheit bei Kindern und Jugendlichen, die aufgrund von fortschreitenden Muskelerkrankungen oder Fehlbildungen ein Blasinstrument nicht mit Händen halten oder bedienen können. Skalen und Klangfarben, sowie die Menükontrolle dieses midifähigen Geräts erfolgen über ein vertikal flexibles Modul mit Röhrchen-Mundstück, die Tonhöhe wird gesteuert durch Auf- und Abwärtsbewegung
des Kopfes.





Hilfsmittel

Auch bei der Bedienung herkömmlicher Schulinstrumente finden sich je nach Art der motorischen Einschränkung und der spieltechnischen Notwendigkeit immer wieder originäre Lösungen, die eine Teilhabe am Klassenmusizieren erlauben.
Manche Schülerinnen und Schüler haben mit ihrer Kopf- und Nackenmuskulatur eine präzisere motorische Kontrolle als mit Händen oder Füßen und benutzen zum Spielen des Keyboards daher einen Zeiger aus Aluminium, der an einem Helm befestigt ist. Als wir dies zum ersten Mal ausprobierten, rutschte der Zeiger auf den glatten Keyboardtasten ab. Erst ein im Alurohr befestigter Bleistift mit Radiergummi am Ende erlaubte einen rutschfesten Anschlag: Manchmal ist die Lösung ganz einfach.